35 Migrant_innen vor Gericht für revoltieren in Moria – 30 von ihnen warten weiterhin in U-Haft auf den Prozess
Nach einem Besuch in Moria fand ein Treffen mit 2 von den 5 angeklagten für die Revolte am 18.Juli 2017 in Moria statt, die nicht mehr in U-Haft sitzen allerdings unter eingeschränkten Bedingungen in Lesvos leben können. Vier von den 5 wurden aus der U-Haft entlassen weil die Behörden bis vor kurzem noch keinen Übersetzer für ihren Dialekt gefunden hat und der Fünfte wurde entlassen weil er schwere Verletzungen von den Schlägen der Polizisten davontrug und hospitalisiert wurde.
Als ein Übersetzer letztendlich gefunden wurde, die vorbereitende Untersuchung wurde im frühen Oktober beendet und der Termin für den Prozess wird bald bekanntgegeben. Es wird erwartet, dass der Prozess schon sehr bald stattfindet, vielleicht schon im Januar 2018, im Gerichtsgebäude von Mytilene. Die 30 Migrant_innen sind an den folgenden Orten eingesperrt: Avlona Gefängnis (7 Minderjährige), Korydallos (13 Erwachsene) und in Chios (10). Alle sehen sich mit ernsten Anschuldigungen konfrontiert (schwere- und leichte Vergehen): Gefährdung von menschlichem Leben durch Brandstiftung, Widerstand gegen Vollzugsbeamte und andere Anschuldigungen.
Alle Verhaftungen passierten lange nach dem ursächlichen Ereignis und nur auf der Basis der Hautfarbe, vorgeblich weil die Ausschreitungen des 18ten Julies von einem Teil im Moria Lager starteten, wo nur schwarze Afrikaner_innen leben. Die Cops schnitten ein Loch in den Zaun, machten eine Razzia im „Afrikanischen Bereich“ von Moria und verhafteten wahllos viele schwarze Migrant_innen um sie später auch noch brutal zusammen zuschlagen. An dieser Stelle muss notiert werden, dass einige auch von Feuerwehrleuten verhaftet wurden, die sich versteckende Migrant_innen in den Büschen fand und sie den Bullen übergab, mit dem belastenden Beweis, dass sie Feuerzeuge bei sich trugen.
Bis jetzt war noch kein Kontakt mit den Eingesperrten möglich, ihre Anwälte wurden von zahlreichen NGOs abblitzen lassen, da diese ihre Kontaktdaten aus ‚Privatsphäretechnischen Gründen‘ nicht raus geben wollen. Ein Versuch wurde jetzt unternommen Kontakt durch in Moria lebende Migrant_innen und das „Rechtsberatungscenter Lesvos“ aufzunehmen, während Anwält_innen der Bewegung (aus Athen) hoffentlich auch noch dazukommen.
Die Situation in Moria und auf der Insel Lesvos
Es sind mehr als 6.000 Menschen in Moria. Die Mehrheit ‚lebt‘ in Zelten. Die Lageraufsicht hat bereits keine großen UNHCR Zelte mehr und die Igloo Tents, auch aus Idomeni bekannt, werden wieder an Migrant_innen gegeben. Das Lager ist randvoll, viele Zelte werden bereits außerhalb aufgebaut. In Moria gibt es Wasser und Strom für ein paar wenige Stunden jeden Tag, spät am Abend. Die, die ausserhalb des Lagers wohnen, haben weder Wasser noch Strom (diesen Teil nennen die Leute selber Türkei). Das Lager ist durch Polizeiposten, Zäune und Stacheldraht in verschiedene Bereiche geteilt, die Bewohner eines Sektors können nicht in einen anderen. Es gibt ebenso separierte Bereiche für unbegleitete Minderjährige und allein-reisende Frauen, doch nach Sonnenuntergang gehen die Wächter oftmals und lassen die Frauen ungeschützt, so dass Männer oft gewaltvoll den Frauensektor ‚besuchen‘. Es ist ein wohl-bekanntes Geheimnis, dass es ebenso auch organisierte Sexarbeit und Drogenhandel im Lager gibt. Die miserablen Bedingungen führen konstant zu Streit, welche sich hin und wieder zu ethnischen Konfrontationen entwickeln. Die Bullen beobachten diese Schlägereien ohne einzugreifen, nur wenn diese ausufern und außer Kontrolle geraten, greift die Bereitschaftspolizei ein und wirft Tränengas.
Bezüglich des Asylprozesses wird dem ersten Interview wird ein Interview über die Lebensbedingungen unter welchen die Person in der Türkei leben musste vorangestellt. Wenn die angehörte Person den Fehler begeht und die Situation als tolerierbar beschreibt, sie_er wird in den Moria Bereich gebracht, wo die Personen festgehalten werden die wieder in die Türkei abgeschoben werden sollen. Wenn sie/er allerdings Argumente gibt, die beweisen dass ihr_sein Leben in der Türkei in Gefahr ist, die Möglichkeit für das eigentliche Asylverfahren zu beginnen ist da. Allerdings ist der Prozess zu langsam, keine Informationen werden an die betroffenen Personen kommuniziert; es leben in Moria Menschen die das Recht auf Familienzusammenführung haben, allerdings werden sie nicht über ihre Rechte informiert, noch über den Prozess oder die Fristen. Generell ist vor Ort eine riesige Verzögerung und eine chaotische Situation, während verschiedene NGO Arbeiter herumlaufen ohne wirklich etwas zu tun. Medizinische Versorgung ist de facto nicht existent, besonders nachdem Ärzte der Welt aufgehört haben und sich das Rote Kreuz dort niedergelassen hat. Das Rote Kreuz operiert aus einem kleinen Gesundheitszentrum heraus mit 1-2 Ärzt_innen und 3-4 Hilfskräften, allerdings nur 5 Tage die Woche und nur in den Arbeitszeiten von 8 bis 16 Uhr. Vor wenigen Tagen starb ein junges Mädchen, da vor Ort keine Ärzt_innen waren die ihren Eltern die notwendigen Papiere hätten ausstellen können um das junge Mädchen in ein Krankenhaus zu verlegen.
Es existieren mehrere kleinere improvisierte Shops rund um Moria, für die welche Geld haben. Polizeiliche Überwachung ist überall. Polizeipräsenz und Kontrolle ist fühlbar von dem Moment wo Du auf der Insel ankommen, jede_r wer verdächtig aussieht (zum Beispiel solidarische Menschen), wird zu einem speziellen Ort gefahren und überprüft. Es laufen zahlreiche ‚harte‘ Frontex Beamte und Bullen von verschiedenen EU Ländern auf der Insel rum, um die Zukunft des Türkei Deals sicherzustellen. Abschiebungen finden wöchentlich statt, von einem speziellen Ort am Hafen, durch ein Boot ohne Anschrift, begleitet von einem weiteren Schiff der Küstenwachen.
Der Hungerstreik auf dem Sappho Platz Mytilene
Am 19. Oktober, hunderte Menschen liefen von Moria ins Zentrum von Mytilene um einen Sit-in an Sappho Platz und eine Demo gegen ihre Lebensbedingungen, die ewigen Verzögerungen ihrer Papiere und ihren verlängerten Aufenthalt in Mytilene zu organisieren.
Die Gegenwart der Polizei und der Autoritäten von Moria war intensiv und sie waren in konstanten Verhandlungen mit den vertretenden der Geflüchteten, welchen sie sagten, dass sie sie nach Kara Tepe bringen würden (als eine bessere Lösung als Moria) und dann ihre Verfahren und den Transfer nach Athen beschleunigen würden (besonders Familien). Nach diesen Versprechen, die meisten Migrant_innen kehrten ins Lager zurück und nur 50 blieben.
Am nächsten Tag liefen wieder mehrere afghanische Familien mit vielen jungen Kindern unter ihnen von Moria ins Stadtzentrum von Mytilene. Am nördlichen Zugang zur Stadt, auf der Höhe einer alten Fabrik, blockierten die Bullen mit den Bussen der Aufstandsbekämpfungseinheit den Zugang zur Stadt. Zur selben Zeit wurde der Verkehr durchs Zentrum umgeleitet um zu vermeiden, dass Autofahrer_innen visuellen Kontakt zu den blockierten Migrant_innen haben, die letztendlich zurück nach Moria gezwungen wurden.
Die 50 Migrant_innen (unter ihnen viele Kinder und Minderjährige) die seit dem Vortag in Mytilini geblieben waren, begannen sich täglich am Sappho Platz zu versammeln, unter der konstanten Überwachung von drei Polizei Jeeps. Jede_r wer den Platz besuchte wurde kontrolliert, selbst wenn sie_er den Platz gerade verlassen hatte.
Am Freitag den 27. Oktober, vier Geflüchtete begannen einen Hungerstreik nachdem sie einen Brief mit ihren Forderungen veröffentlicht hatten in dem sie den Behörden ein 4-Tages Limit setzten, nachdem sie, falls sie keine Antworten bis dahin bekämen, weitere Frauen, so wie auch klein Mädchen, ebenso in den Hungerstreik gehen würden. Da keine Antworten folgten, 5 Mädchen begannen ebenso in den Hungerstreik zu gehen. Genoss_innen von dem „Workers“ Club und dem besetzten Haus „Binio“ Universität in Lesvos boten den demonstrierenden Migrant_innen Plätze für die Nacht. Der Besitzer des Hauses vom „Workers Club“ kündigte an, in diesem Fall den Club räumen zu lassen.
Es ist offensichtlich, dass der Europäische Union – Türkei Deal nur Staaten profitieren lässt. Der Tot durch ertrinken ist zu einer Banalität verkommen, Migrant_innen verbleiben gestrandet und marginalisiert in Lagern, während Abschiebungen weiterlaufen, selbst im Fall von unbegleiteten Minderjährigen.
Wir unterstützen migrantische Kämpfe und Revolten, genau wie deren Forderungen für Bewegungsfreiheit, bessere Lebensbedingungen und Zusammenführung mit ihren Familien. Wir sind zusammen in den Kämpfen für Papiere, Gesundheitsversorgung, Arbeit und Würde.
Wir teilen was wir haben
Wir kämpfen zusammen für das was uns zusteht